P. Herbert Douteil CSSp
Jesus-Schriftzug am Flussufer
Diözese Cruzeiro do Sul / Brasilien

Missionsarbeit am Oberlauf des Amazonas

Erfahrungsbericht meiner logopädischen und motopädagogischen Arbeit im Projeto Menino Jesus de Nazaré, Brasilien
Christian Steiger, Staatl. Anerk. Logopäde u. Motopädagoge

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Durch meine Kollegin Nina Heyd wurde ich bereits 2007 auf das Projekt und P. Herbert Douteil aufmerksam. Gerne unterstützte ich mit einigen Materialien aus der Logopädie Nina Heyd bei ihren Einsätzen 2008 und 2009.

Als Nina im November 09 eine gesunde Tochter zur Welt brachte und leider für 2010 ihre Teilnahme absagen musste, wuchs in mir der Gedanke, für sie einzuspringen.

Wenn auch die Zeit bis zur Abreise im Fluge verging, konnte ich mir die Sprache leider in der Kürze der Zeit nicht so umfassend aneignen, wie ich geplant hatte.

Da ich im selben Jahr noch neben meiner Arbeit in den Praxis Mannheim, die logopädische Versorgung in der orthopädischen Kinderklinik Aschau übernahm, war die Zeit zum Erlernen des Brasilianischen sehr knapp.

Dem entsprechend aufgeregt trat ich die Reise mit dem Kinderarzt Dr. Lothar Biskup an, den ich, nebst Gattin, im März 2010 bei Nina Heyd in Heppenheim, nach einigen Telefonaten nun persönlich kennen lernen durfte.

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Nach einer zweieinhalbtägigen Reise trafen wir in der Region Acre ein und wurden freundlich, aber auch sehnsüchtig von P. Herbert in Empfang genommen. Nach einer kleinen Kaffepause besprachen wir mit den beiden Koordinatoren (und jetzigen Präsidenten) Valderi Farias de Souza und Valdenisio Martins Leitão direkt die Einsätze für den folgenden Morgen durch.

Wir suchten die betroffenen Kinder im Hause der Eltern mit der zuständigen Orientadora auf und nahmen den aktuellen Verlauf der Therapie, den medizinischen Status und Anliegen der Eltern oder Therapeutin auf. Für mich war es eine positive und sehr freudige Überraschung, dass die angelernten Kräfte neben physiologischen Übungen, Aufgaben zur Koordination der Handmotorik, Lese- Rechtschreibtraining, Wahrnehmungsübungen und eben aus dem Bereich der Logopädie bestens mit Wissen und phantasievollen Ansätzen vertraut waren und anwandten.

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Audiometrie im Kreissaal von Guajarã

Im Vergleich zu Deutschland ist mir sehr deutlich aufgefallen, dass die Kinder hochmotivert mitarbeiten und dankbar die Therapieangebote, seien sie noch so spartanisch, annehmen. Durch meine Arbeit mit körper- und geistig behinderten Kindern konnte ich den Therapeutinnen vor Ort logopädische und psychomotorische Ideen vermitteln, welche meist direkt am Kinde ausprobiert und mit sichtlichem Spass angenommen wurden.

Neben positiven Einsätzen, wie zum Beispiel eine Audiometrie im Kreissaal von Guajarã, Amazonien, wo die einzige 220Volt-Steckdose aufzufinden war und die Versorgung eines Teenagers mit Ohrmuscheldysplasie mit einer Hörbrille, kam es auch zu Härtefällen.

Neben schweren Muskelerkrankungen, teils unklarer Genese, wodurch die Kinder von Monat zu Monat schwächer werden, hat mich ein Fall sehr aufgregt, den ich hier an dieser Stelle beschreiben möchte.

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Gemeinsam mit Dr. Biskup und dem Team ging es auf Hausbesuche.

Ein kleiner fünf jähriger Junge mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wurde, über das Projekt vermittelt, an der Lippe operiert und ist nun ausserlich zwar schön anzusehen, doch eine verständliche Sprache spricht er nicht. Die Eltern finden den Zustand soweit in Ordnung und sind zufrieden. Auf Nachfrage, wann nun die OP für den Verschluss des Gaumens erfolgen kann, damit der Junge endlich sprechen lernt, gibt die Mutter an, keine OP mehr anzustreben, da sie einem Heiligen ein Gelöbnis abgelegt habe, nicht mehr zu operieren. Das sind die Grenzfälle meiner Arbeit und es ist für mich, mit meiner europäischen Erziehung, schwer dies nachzuvollziehen. Gemeinsam mit Dr. Biskup und dem Team von P. Herbert Douteil haben wir, nach langern Abwägen, der Mutter eine Bedenkzeit von zwei Wochen eingeräumt, um sich zur notwendigen Operation durchzuringen. Aus unserer Sicht ist es unverantwortlich und eine Misshandlung des Jungen, wenn ihm die Möglichkeit zur Kommunikation und dem damit verbundenen Schulbesuch verweigert wird.

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Nun am Ende dieser Zeit kann ich nach fünfeinhalb Wochen *geopferter* Zeit sagen, dass es kein *Opfer* war – sondern ein Geschenk.

  • Ich gab meine Ideen und Beobachtungen bei mehr als 110 Kindern weiter,
  • teilte mein Wissen in einer Weiterbildung für die Orientadoras zum Thema Tonus-Mundschluss- orofaciale Therapie,
  • brachte therapeutische Hilfsmittel und Therapiematerial mit,
  • zeigte anhand ausgewählter Demo-Therapien den Orientadoras bei schwerst betroffenen Kindern Techniken zur orofacialen Regulation
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Und bekam das schönste Geschenk... ein aufrichtiges Lächeln!!!

Besonderen Dank möchte ich noch an Dr. Lothar Biskup für die unermüdlichen Übersetzungen des Brasilianischen ins Deutsche und vom Bayrischen ins Brasilianische aussprechen.

Christian Steiger
Staatl. Anerk. Logopäde u. Motopädagoge