| | | |
Abschiedsdesobriga zu den Menschen am Ipixuna-Fluss
23.01.2008
Nach 30 Jahren begab ich mich nun zum letzten Mal auf die Seelsorgsreise (Desobriga) zu den Siedlungen entlang des Ipixuna-Flusses. Seit 1978 besuche ich ihn – zum ersten Mal war es gemeinsam mit Dom Henrique Rüth, den ich besuchte, weil ich damals das Material für das Buch und zum Film der Arbeit unserer Mitbrüder in Südbrasilien sammelte.
Dieser erste Besuch hatte mich nachhaltig beeindruckt. Ich sagte mir: "Meine Editionsarbeit mittelalterlicher Handschriften mag wichtig sein – viel wichtiger ist, dass hier jemand hinkommt zu den lebenden Menschen, die jetzt jemanden brauchen – und dieser jemand kann nicht irgend einer sein, der muß ich sein, der dies alles hautnah erlebte!" – Die Armut der Menschen, ihre Verlassenheit, das Zerstreutsein im Urwald, wo ich mich oft fragte: "Wo können hier Menschen wohnen, leben und existieren? Wie können sie froh und glücklich sein, wie ihren Glauben erhalten und entwickeln?"
Ich erhielt am 22. Januar 1979, also genau gestern vor 29 Jahren die Erlaubnis, nach Brasilien zu gehen, beendete bis zum 6.August 1979 meine Edition der Concordantiae caritatis und flog am selben Tag noch nach Brasilien, um am Inkulturationskurs in Brasilia teilzunehmen. Von da an begann ich die Seelsorgereisen zum Ipixuna, Campinas und Liberdade, übernahm die Leitung des Kleinen und später Großen Seminar der Spiritaner und die Seelsorge an den Siedlern von Santa Luzia.
Nun sollte es nach 30 Jahren also die Abschiedsdesobriga werden. Gewiß, Wehmut erfüllte mein Herz – aber ich habe inzwischen so oft gelernt, loszulassen, dass ich auch weiß, dass die Kirche nicht mit mir beginnt, auch nicht mit mir endet. Auch weiß ich, dass die Menschen hier ganz anders fühlen: "Wenn der Padre Heriberto nicht mehr kommt, dann wird ein anderer an seine Stelle treten..."
Es ging los mit unserem "Falken" - so nannte ich insgeheim unser Kanu wegen der großen Schnelligkeit, mit der wir fahren konnten. Bei unserer Ankunft in Novo Horizonte waren alle Bewohner mit dem Familienoberhaupt Moacir und seiner Frau Lourdes friedlich in der Sala versammelt, dass ich ihnen gleich anbot, die heilige Messe zu feiern; das Angebot wurde freudig angenommen.
Am folgenden Tag folgte ein Dienst auf den anderen – es könnte langweilig werden, wäre da nicht das Herz des Missionars, wären da nicht die wachen und offenen Augen der Kinder und Herzen der Erwachsenen. Viele von ihnen hatte ich einmal getauft, andere zur Erstkommunion geführt – viele, viele Erinnerungen wurden auf allen Seiten wach. Es ist kaum glaublich, dass alle mit ihrer Aufmerksamkeit fast zwei volle Stunden der Hl. Messe folgten und dass lediglich die kleinen Kinder, die zur Taufe gebracht wurden, etwas unruhig wurden – kein Wunder bei den hohen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit!
Besonders gespannt war ich auf den Zustand der Kapelle in Velho Julho, die dem heiligen Franz Xaver geweiht ist. Sie hatte ich 1998 erbauen lassen. Leider war die Kapelle in einem sehr desolatem Zustand - teilweise durch mutwillige Beschädigungen - auch die Figur des Heiligen blieb nicht verschont. Schon vor zwei Jahren waren einige der Dachplatten zerbrochen, der Regen kam in die Kapelle hinein und ließ die Wand- und Fußbodenbretter verfaulen. Schon 2005 hatte ich um Änderung gebeten, und einer der Bewohner der Siedlung hatte sich angeboten, die Kapelle auf seinem Gelände wieder neu aufzubauen. Aber dieser Mann war inzwischen dem Alkohol so ergeben, dass nichts mehr geschehen war – es blieb ein Bild des Grauens und des Zerfalls!
Die Figur des heiligen Franz Xaver mit der Familie, welche die Figur in ihre Obhut genommen hatte, um sie vor weiterer Zerstörung zu retten. |
Auf meiner nächsten Station in Raivoso wurde ich überrascht durch eine neue Schule, welche der Hausherr Manoel Maia aus eigenem Antrieb so gut erbaut hatte – ganz im Gegensatz zur von Angestellten der Präfektur in Guajará gebauten Schule in Aurora. Deren Dachkonstruktion ist total faul und unstabil, dass sie einem tropischen Sturm nicht standhalten wird - wehe den Kindern, die zu einer solchen Zeit hier ihren Unterricht haben sollten.
Manoel hatte sogar eine Lehrerin von der Schulverwaltung erhalten, so dass 22 Kinder endlich Lesen und Schreiben und Rechnen lernen konnten. Nach kurzem Gespräch, war Manoel gegen eine entsprechendes Entgeld bereit, die Kapelle in Velho Julho neu zu erbauen. Er wird sehen, was von der alten Kapelle noch als Baumaterial für einen Wiederaufbau verwendet werden kann. All dies schien mir wie ein Gleichnis für alle Arbeit, die ich geleistet hatte: Vieles ist zerfallen durch Missgeschick oder fehlende Fürsorge. Aber das Material ist noch gut, es kann von einem anderen – von einem Nachfolger - wieder benutzt und neu zusammengebaut werden – zur größeren Ehre Gottes und zum Heil der vielen Seelen!
Ein anderes Treffen darf ich nicht vergessen – das mit dem kleinen Manoel, der mir 1999 schon aufgefallen war, weil er so gut zeichnen konnte. Valderi, der stellvertretende Präsident unserer Stiftung, hatte ihn nach Guajará geholt und für seine Unterbringung und Erziehung gesorgt. Voll Stolz zeigte mir Manoel die beiden zuletzt entstandenen Zeichnungen. Er wird jetzt das 8. Grundschuljahr in Guajará absolvieren, dann werden wir sehen, ob wir ihm eine künstlerische Schulung in einer der kulturellen Zentren, welche in Manaus für die Ausbildung einheimischer Künstler eröffnet worden sind, zukommen lassen können. Er könnte ähnlich wie Maqueson, unser Intarsienkünstler, einmal eine sehr, sehr viel versprechende Zukunft und Laufbahn haben!
Am vorletzten Tag kamen wir auf der Runterfahrt an den Fluss Gama und fuhren in ihn hinein. Nach dem Dienst konnte ich mich sogar noch ein wenig zur Erholung in die Hängematte legen...
In Ruhe zogen vor meinem inneren Auge noch einmal die besuchten Stationen vorbei: Die Abreise aus Cruzeiro do Sul, Novo Horizonte, Paranazinho, Terra-firme-de-baixo, Igarapé Preto, Velho Julho, Tapiará, Candéia, Raivoso, Aurora und jetzt zum Abschluß Gama... was wird as diesen Gemeinden werden, wer wird sie jetzt besuchen? "Laß die Jungen diese Arbeit machen", hatte mir unser Bischof gesagt, "Du bist jetzt alt genug und hast genug in dieser Beziehung getan; auch ist Deine Gesundheit nicht mehr die beste; Du hast jetzt andere Aufgaben, bist z.B. auch Generalvikar..."
Der Heimweg führte mit dem Toyota über die eigentlich gar nicht so schlechte Straße, die man mit Einsatz von einigen Maschinen und mit wenig Geld sehr leicht ganzjährig befahrbar halten könnte. Es ist ein wirkliches Ärgernis, dass der Präfekt für die Erhaltung nichts einsetzt, sondern das dafür bestimmte Geld in seine eigenen Taschen fließen lässt. Wie viel Hilfe hätten doch die Siedler in Gama, wie leicht könnten sie ihre Produkte verkaufen – statt zwei voller Tage über den Fluß, wären sie in zwei Stunden auf dem Markt! Aber die korrupten Politiker denken nicht an die Armen, sie denken an sich – und das wurde mir augenfällig, als ich das Landhaus des stellvertretenden Präfekten Armandinho sah und fotografieren konnte: Im Besitz einer einzigen Badehose war er vor ca. 10 Jahren nach Guajará gekommen, es war ihm gelungen, dort in die Politik einzusteigen – und er ist jetzt einer der reichsten und auch einflussreichsten Männer dort. Ich kann nur hoffen, dass sich zukünftig die einfachen Leute nicht mehr so leicht bestechen und den Kopf durch die schönsten Wahlversprechungen verführen lassen!
Für mich ist mit dieser Reise ja ein persönliches Missionskapitel zu Ende gegangen - 30 Jahre Mission am Ende der Welt, wo ich versucht habe, meine Pflicht so gut zu erfüllen, wie es möglich war. Und nun muß ich mir sagen: Alles hat seine Zeit! Aber es besteht zeitlos und uneingeschränkt die wirklich große und wichtigste Verheißung Christi: ICH BIN bei euch - alle Zeit! Und so kann ich nur sagen und für die Menschen im Rio Ipixuna und bald auch im Liberdade beten: Der HERR ist mit euch - auch ohne mich!
|
|