Gewalttätigkeit in São Paulo, Rio de Janeiro...
und in Cruzeiro do Sul
"Sie haben wieder einen umgelegt – Gefängnisdirektor auf offener Straße ermordet – da so etwas so alltäglich geworden ist, regt es keinen Brasilianer mehr auf..."
(VEJA, 13. 8.2003, S. 54)
Cruzeiro do Sul, im September 2003
Abel Silvério de Aguiar, der Direktor des Gefängnisses Bangu III, war auf einer der am meisten befahrenen Straßen Rios, der Avenida Brasil, unterwegs, als er von zwei Autos verfolgt wurde, in dem vermummte Gestalten saßen. Diese haben auf den vor ihnen fahrenden Wagen Aguiars geschossen, bis dieser die Kontrolle über den Wagen verlor und mit einem Omnibus zusammenprallte. Die mit kugelsicheren Westen ausgerüsteten Verfolger sprangen aus ihrem Fahrzeug und schossen aus nächster Nähe auf den verunglückten Wagen, bis sie sicher waren, dass der Fahrer auch wirklich tot war. Insgesamt haben sie siebzehn Schüsse abgegeben und sind dann unbehelligt im dichten Verkehr verschwunden!
Zwei Wochen vorher war Paulo Rocha, der für die Sicherheit im staatlichen Gefängniswesen, durch das 15 Gefängnisse überwacht werden, verantwortlich war, auf ähnliche Weise an praktisch derselben Stelle ermordet worden.
Im letzten Juni (der letzte Monat, über den es Informationen gibt) wurden 600 Menschen in Rio de Janeiro ermordet. In den letzten vier Monaten waren es monatlich 960 Menschen in São Paulo. Allein in Rio und São Paulo zusammen, werden jedes Jahr im Durchschnitt 18.600 Menschen gewaltsam umgebracht. Zum Vergleich: Während des Vietnamkrieges starben auf beiden Seiten der verfeindeten Linien jährlich 20.000 Menschen!
Die Ermordung von Menschen gehört in Rio und São Paulo bereits zur Routine des Alltags, und man regt sich höchstens auf, wenn die Art und Weise der Ermordung besonders scheußlich ist. Der Minister für das Sicherheitswesen in Brasilien, Luis Eduardo Soares, sagte, dass von den untersuchten Fällen nur 8% aufgeklärt werden...
Die VEJA informiert häufiger über Drogenhandel und organisiertes Verbrechen und die Zunahme der Gewaltkriminalität hier in Brasilien. Die Zahlen sind erschreckend, wenn ich nur an die Ermordeten denke. 1990 waren es in Gesamtbrasilien 16.588, 1995 stieg die Zahl auf 22.306 und lag im Jahre 2.000 bei 30.769. 70% dieser Menschen wurden im Zusammenhang mit Drogenhandel ermordet.
1994 wäre ich selbst fast einer von ihnen gewesen!
Die Gewalt macht natürlich auch nicht vor unseren in São Paulo studierenden Seminaristen Halt: Am 1. Juni wurde unser Theologiestudent Leonardo überfallen und sollte unter Androhung von äußerster Gewalt zur Erpressung von Lösegeld entführt werden.
Adecarlos, ein anderer Seminarist, war zum Glück dabei, und auch andere Zeugen bekamen alles mit. Mit sehr viel Glück kam Leonardo frei. Er konnte den verhinderten Entführer identifizieren und meldete die Sache bei der Polizei. Am 25.8. war die Gegenüberstellung beim Gericht. Am Vorabend und am Tage selbst wurde Leonardo telefonisch bedroht und von ihm verlangt, er solle die Anklage zurücknehmen, sonst käme er mit dem Leben nicht davon.
Leonardo hat die Gespräche auf Band aufgenommen und sie gestern beim Gericht, wohin er in Begleitung einer Anwältin ging, als Beweis vorgelegt. Er hat die Anklage nicht zurückgenommen, weil er sich sagte, dass auch andere Menschen vor diesen Verbrechern geschützt werden müssen und er deshalb auch ein gewisses Risiko auf sich nehmen müsse...
Wie er, sind auch andere überfallen worden: Valderi, der jetzt hier die Koordination des Projektes des "Jesuskindes von Nazareth" übernahm, hatte einmal bei der Heimkehr von einer Favela, wo er den Abendgottesdienst gefeiert hatte, seine Geldbörse abgeben müssen, um nicht das Leben zu verlieren. Zwei andere Seminaristen, die im gerade gekauften, völlig neuen VW-Kombi von einem ähnlichen Besuch einer Favela heimkehrten, wurden unter Waffengewalt gezwungen, den Wagen abzugeben. Als die Polizei ihn wiederfand, war nur noch die Karosserie vorhanden. Die Räder waren genau so verschwunden wie Motor und alle anderen Teile des Wagens, die von spezialisierten Werkstätten ausgeschlachtet und auf dem "freien Markt" verkauft werden. Es ist aussichtslos, in solchen Fällen Nachforschungen anzustellen: Wer weiß schon die Nummer eines in seinem Auto eingebauten Motorteiles??
Leider ist die Gewaltbereitschaft nicht nur in den Großstädten verbreitet, sondern auch hier bei uns im Urwald: Am 14. August wurden drei meiner Katecheten in der Dunkelheit des Flussufers überfallen und unter Androhung von Waffengewalt zur Herausgabe des wenigen Geldes gezwungen, das sie auf dem Weg zu einer Show eines Priestersängers vor der Kathedrale bei sich hatten...