Cruzeiro do Sul, den 03. Januar 2006
Ich habe das neue Jahr auf der vorgesehenen "Desobriga" im Riozinho da Liberdade in der Hängematte begonnen. Ringsum war alles ruhig, kein einziger Böllerschuß war zu hören, auch die Menschen in den nächsten Hütten schliefen oder waren zu Bekannten gefahren. Ich hatte vor dem Einschlafen noch einen Rückblick auf das letzte Jahr getan und das neue in Gottes Hand gelegt – "was ER tut und wie ER es tut, sei gesegnet!" hatte ich gedacht.
Sehr bald wurde mein Gebet auf den Prüfstand gestellt: Als ich aufwachte, war durch die Bronchitis, die ich mir am letzten Tag des Jahres bei einem Wetterumschwung geholt hatte, meine Stimme fast verschwunden – in der Messe konnte ich mich nur mit Mühe verständlich machen – der Zustand verschlimmerte sich den Tag über noch mehr, so dass ich am Abend es machen musste, wie die Prediger des Mittelalters, wenn sie große Volksmengen vor sich hatten:
Die Begleiter mussten dann das weitersagen, was der Prediger von seiner Stelle aus sprach. mein Katechet França machte seine Sache gut, aber auch bei ihm machte sich schon eine Erkältung bemerkbar; und die war gestern Morgen zu einer akuten Lungenentzündung mit Fieber und starken Brustschmerzen geworden. Da blieb mir nichts anderes übrig, als den Befehl zur Rückkehr nach Cruzeiro do Sul zu geben
Ich kam noch so früh an, dass ich die Radiodurchsage diktieren und verbreiten lassen und mein Motorist gleich die notwendigen Medikamente kaufen konnte – ich hoffe, dass meine Freunde im Riozinho da Liberdade meine Entscheidung verstehen und auf den nächsten Besuch warten.
Die Lage der Menschen ist ähnlich wie jene im Rio Ipixuna, den ich im Dezember besucht habe: Die Bedrohung der Umwelt besteht nach wie vor; meine Anzeige in Radio und Zeitung bzgl. von Abholzung hatte zur Folge, dass ein Großgrundbesitzer, der nicht einmal persönlich genannt war, mir mit einem Prozeß wegen "moralischen Schadens" droht. Diesem Prozeß sehe ich sehr gelassen entgegen; denn er würde mir und vielen anderen Umweltfreunden die Gelegenheit geben, von jenem Großgrundbesitzer begangene und längst vergessen geglaubte wieder auszukramen und zur Sprache zu bringen.
Sehr viele Malaria-Fälle gab es auch im Liberdade und eine nur beschränkte und oberflächliche Hilfe seitens der zuständigen Stellen. Über die Beteiligung an den Gottesdiensten kann ich nur wenig sagen; es waren zu wenige, als dass ich einen Gesamtüberblick geben könnte.
Etwas Gutes beobachtete ich auch: Die Leute verlassen sich jetzt nicht nur mehr auf die Erzeugung von "Farinha2 (Manjokmehl), weil vor wenigen Monaten eine Raupenplage so viel zerstört hatte, dass sie fast keine Ernte hatten einbringen können. Die Zahl der Schmetterlinge war an einigen Tagen so groß, dass man nicht die andere Seite des relativ schmalen Flusses sehen konnte! Durch Schaden klug geworden, pflanzen sie jetzt auch vermehrt Mais an, stellen also ihre Existenz auf ein zusätzliches Standbein.
Hier traf ich heute schon zwei der Koordinatoren des Projektes des
"Jesuskind von Nazareth" – der dritte hatte einen Motorradunfall; ein Hund war ihm ins Motorrad gelaufen, er stürzte und hat sehr starke Hautabschürfungen und versucht, sich daheim zu kurieren. Doch geht die Arbeit mit den Kindern und ihren Eltern unvermindert weiter. Wegen des Ausfalls eines Soldaten wird unser Feldzug gegen dieses Elend doch nicht abgeblasen! Auch kann ich mich jetzt wieder schneller um jene Probleme kümmern, welche mir das Amt des Generalvikars aufbürdet. Da kann ich nur auf die Gnade des Heiligen Geistes hoffen und seine Wundermacht, dass sich so manche Frage löst, welche unlösbar erscheint – nicht alles hängt ja vom Geld ab, es gibt auch andere Probleme!
Allen, die diese Seite bisher gelesen haben, wünsche ich noch einmal ein glückseliges, gesegnetes Neues Jahr! Möge es Euch nach einem brasilianischen Wort das Doppelte von dem bringen, was Ihr mir wünscht!